Status: | Beschluss |
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Beschluss durch: | 50. Landesdelegiertenkonferenz (LDK) |
Beschlossen am: | 20.01.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Perspektivenvielfalt in der Parteiarbeit
Beschlusstext
Die Landesdelegiertenkonferenz bittet den Landesvorstand, eine Strategie zu entwickeln und darauf aufbauend, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Partei attraktiver für Auszubildende und Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung zu machen und mögliche Barrieren abzubauen. Dies soll mit Priorität geschehen, um möglichst noch im Landtagswahlkampf 2024 erste Wirkung zu entfalten und dort insbesondere bei der Themensetzung und Kommunikation Beachtung finden. Strategien und Maßnahmen sollen auch den Handlungsraum der Kreisverbände vor Ort einbeziehen, um möglichst landesweit das politische Engagement und damit die Teilhabe von Menschen mit Berufsausbildung zu fördern.
Strategie und Maßnahmen sind der nächsten LDK zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen.
Eine Verstärkung der Perspektivenvielfalt in unserer Parteiarbeit ist aber auch jenseits des beruflichen Hintergrundes notwendig. Deshalb soll in einem zweiten Schritt die Strategie erweitert und mit Leben gefüllt werden. Egal, ob Handwerkerin, Altenpfleger oder Wissenschaftlerin, egal ob Rentner, der schon seit 70 Jahren in der Region lebt oder junge Frau, die erst vor kurzem hergezogen ist, egal ob auf dem Land oder in der Stadt zu Hause - in unserer Partei sollen sich alle wohlfühlen und Ideen mit einbringen - ihre Perspektiven sind wichtig.
Begründung
Natürlich nicht nur, aber insbesondere in Wahlkampfzeiten, in denen es darum geht, möglichst viele Menschen für unsere Politik zu gewinnen, sollte es unser Anspruch sein, die Perspektiven aus der Breite der Bevölkerung im Blick zu haben. Auch unsere Kommunikation kann die Menschen nur erreichen, wenn sie verständlich bleibt und sich an der Breite der Bevölkerung orientiert.
Die Umsetzung unserer politischen Forderungen kann vielfach nur erfolgreich sein, wenn bei der Ausgestaltung von Maßnahmen die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Perspektiven einfließen und die Menschen dadurch mitgenommen werden.
So heißt es im Vielfaltsstatut unseres Landesverbandes: “Vielfältiges biographisches Erfahrungswissen und vielfältige Perspektiven aus der ganzen Breite der Gesellschaft sind wichtig für uns. So finden wir als Partei umfassende Antworten auf Fragen, die uns als gesamte Gesellschaft betreffen.”
Menschen mit Berufsausbildung sind in unserer Partei deutlich unterrepräsentiert, während sie in Brandenburg, wie auch im restlichen Bundesgebiet, die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Unseren eigenen Anspruch, eine vielfältige Partei zu sein und von vielfältigem Erfahrungswissen und Perspektiven zu profitieren, lösen wir in diesem Zusammenhang bei weitem nicht ein.
Als politische Partei kommt uns darüber hinaus eine besondere Verantwortung zu. Aus unseren Mitgliedern rekrutieren wir Menschen für die Besetzung von politischen Ämtern und Mandaten. Die Repräsentation der Bevölkerung in unserer Partei ist also entscheidend dafür, inwiefern wir dazu beitragen, dass die Repräsentation einer gesellschaftlichen Vielfalt unter politischen Entscheidungsträgern gelingt.
Kurze Bestandsanalyse:
Auf allen Ebenen (Bund, Land, Kommune) werden Bürgerinnen und Bürger in Parlamenten vor allem von Personen mit Hochschulabschluss repräsentiert. So haben im aktuellen Bundestag 87% der Abgeordneten einen Hochschulabschluss, in der Bevölkerung sind es 19% (Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023, Stand: 30.11.2023). Seit 1957 (45%) ist der Anteil an Hochschulabsolventen im Bundestag kontinuierlich angestiegen. Eine Lehrausbildung haben heute nur noch 6% der Abgeordneten (https://www.bundestag.de/resource/blob/272942/7819518573dce3e45498cdd8fcbd0eff/Kapitel_03_09_Schul-_und_Hochschulbildung-pdf-data.pdf).
Für unsere Partei zeichnet sich ein noch stärker einseitiges Bild. Über 92% unserer Abgeordneten von Bündnis 90/ Die Grünen verfügen über einen (Fach-)Hochschulabschluss. Weniger als 2% (zwei Abgeordnete) haben eine Lehrausbildung.
Auch ohne die Darlegung der genauen Zahlen lässt sich für unsere Abgeordneten in Landes- und Kommunalparlamenten ein sehr ähnliches Bild zeichnen.
Für kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, die in den letzten Jahren erstmals ein Amt übernommen haben, zeigt eine aktuelle Studie der Böll-Stiftung für alle Parteien einen rückläufigen Akademisierungstrend - mit einziger Ausnahme unserer eigenen Partei, in der der Anteil an Mandatsträgerinnen und Mandatsträger mit Berufsausbildung auf niedrigem Niveau weiter sinkt (Vielfaltsstudie Teil 3: Vielfalt sucht Repräsentation (Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung) https://www.boell.de/sites/default/files/2023-10/vielfalt-sucht-reprasentation_vielfaltsstudie-teil-3_0.pdf).
Auch zur Zusammensetzung der Parteimitglieder gibt es eine Analyse (https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/zahlen-und-fakten/140358/die-soziale-zusammensetzung-der-parteimitgliederschaften/). Demnach ist Bündnis 90/Die Grünen die Partei, die mit Abstand den höchsten Anteil an Mitgliedern mit Hochschulabschluss (B90/G: 72%; FDP: 63%; Die Linke: 51%; CDU: 43%; SPD: 41%; CSU: 34% - ausgenommen aktuell noch Studierender) und folglich den geringsten Anteil an Mitgliedern mit Berufsausbildung hat.
In Bezug auf die Parteimitgliedschaft gelingt es anderen Parteien also deutlich besser, auch Menschen mit Berufsausbildung für politisches Engagement zu gewinnen und deren Perspektive in die politische Arbeit einfließen zu lassen.
Vielfalt und Inklusion sind besonders wichtige Werte unserer Partei. Diesem Anspruch können wir in Bezug auf berufliche Erfahrungshorizonte und damit verbundene Perspektiven nicht gerecht werden.
Relevanz:
Die Bedeutung der mangelhaften Vertretung von Menschen mit Lehrberufen/Berufsausbildung bzw. die Überrepräsentation von Menschen mit Hochschulabschluss in Parlamenten und insbesondere durch unsere Partei(-mitglieder), kann sich unterschiedlich auswirken:
- Die Erfahrungshorizonte nicht-akademischer Berufsgruppen (Erziehung, Pflege, Handwerk, Dienstleistung, Handel usw.) können nicht ausreichend in die politische Agenda einfließen.
- Die berufsbezogenen Interessen und Perspektiven von Menschen mit Lehrausbildung werden nicht angemessen berücksichtigt und politisch vertreten.
- Da Menschen mit Hochschulabschluss meist über ein höheres Einkommen verfügen, ist die Lebensrealität von Menschen mit geringerem Einkommen weniger präsent. Dies betrifft sowohl die alltägliche Lebensgestaltung, das Freizeitverhalten, die Wahl des Wohnorts, der Umgang mit aktuellen Krisen und Herausforderungen, aber auch Befürchtungen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung.
- Dieser Mangel an Vielfalt in den politischen Entscheidungsprozessen und der Mangel an Repräsentanz können das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik und in politische Entscheidungen untergraben.
- Neben der Einengung der politischen Agenda kann der Mangel an Vielfalt aber auch zu einer Limitierung in Bezug auf potentielle Wählerschaften führen.