Das Thema Pflegekammer hat sich abgekühlt. Wir sollten es keinesfalls zu einem Projekt von Bündnis 90/Die Grünen im Zusammenwirken mit den Berufsverbänden ohne die Pflegenden machen. In unserem Wahlprogramm 2019 haben wir die Gründung einer Kammer vom Willen der Pflegenden abhängig gemacht. Daran sollten wir festhalten. Das passt zu bündnisgrüner Basisdemokratie. Auch angesichts der Leistung der Pflegenden in der Corona-Pandemie haben sie es verdient, gehört zu werden. Da sich seit 2019 die Beitragsfrage als wichtiger Punkt herauskristallisiert hat, sollte dieser Punkt schon vor der Gründung offensiv angesprochen und geklärt werden, und zwar in den beiden großen Tätigkeitsfeldern von beruflich Pflegenden.
Seit 2019 wuchs die Entfernung zwischen Pflegeberufsverbänden und Pflegenden in den Betrieben. Auf die Abschaffung der beiden Pflegekammern in Niedersachsen (SPD-Gesundheitsministerin) und Schleswig-Holstein (FPD-Gesundheitsminister) im Jahr 2021 reagierten die Berufsverbände und der Gesundheitsminister in NRW (CDU) damit, die Pflegekammer vorwiegend als staatliches Projekt zum Nutzen der Bevölkerung zu begründen, das aufgrund der gewachsenen Struktur des Gesundheitswesens nötig sei. Der Aspekt der Interessenbündelung rückte nach hinten. Zur Krise kam es in NRW, als Ende 2021 70 % der Pflegenden spontan die Registrierung verweigerten (spontan, weil es von keiner Seite einen Aufruf zu Verweigerung gab). Überstürzt beschloss der Landtag, die Kammerwahl zu verschieben und bis Juli 2027 die Mitgliedsbeiträge aus dem Landeshaushalt zu zahlen. Damit kam er den Berufsverbänden entgegen. Anfangs war für diese der Gleichklang mit den Ärztekammern leitend, d.h. Unabhängigkeit durch eigene Beiträge. In jüngerer Zeit fordern sie staatliche „Anschubfinanzierung“, weil es Jahre brauche, bis die Pflegenden den Nutzen einer Kammer erfahren. Trotzdem lag in NRW die Verweigerung der Registrierung zum Zeitpunkt der Wahl noch über 50 %.
Die älteste Pflegekammer in Rheinland-Pfalz (SPD Gesundheitsministerin) erfuhr 2021 einen Absturz der Wahlbeteiligung: 2015 = 43 %, 2021= 17 %.
In Baden-Württemberg (Gesundheitsminister Bündnis 90/Die Grünen) sind die von der Basis ausgehenden Risiken reduziert. Der Landtag beschloss 2023, dass die Pflegenden ohne Registrierung mit Erlass des Gesetzes Mitglieder der Pflegekammer sind. Sie haben die Pflicht, sich nachgelagert an der Vervollständigung ihrer Daten zu beteiligen und insbesondere ihre Berufserlaubnis-Urkunde einzureichen. Es wird 2024 eine sechswöchige Frist geben, in der die Pflegenden ihrer Mitgliedschaft widersprechen können. Erreicht die Zahl der Widersprüche 40 %, wird die Kammer nicht errichtet.
Wir sollten als politische Organisation auch selbständig nach Alternativen suchen. Diese müssen nicht im Wahlprogramm stehen. Vorbild einer anderen Organisation der Pflegenden in Brandenburg könnten entweder die Hebammen sein. Sie haben einen starken, geeinten Berufsverband, der ihre Interessen ohne Kammer wirkungsvoll vertritt. Oder ein Pflegering, der die Pflegeverbände nach dem Vorbild des Landesjugendrings bündelt und an allen pflegerelevanten Aktivitäten von Gesetzgebung und Landesregierung beteiligt wird.
Pflegeberufsverbände verfügen über eine hohe fachliche Kompetenz. Sie sind ein wichtiger Gesprächspartner für uns. Sie arbeiten aber vorwiegend aus der Perspektive von leitenden und lehrenden Pflegefachpersonen sowie von akademisch ausgebildeten Pflegenden aus dem Krankenhaus. In der Altenpflege ist das Interesse an einer Kammer geringer und diese würde nur weniger als die Hälfte der Pflegenden betreffen, weil der Pflegeprozess zu über 50 % in der Hand von Pflegehelfer*innen und Hilfskräften liegt. Deswegen können sie nicht der einzige relevante Ansprechpartner für uns sein.