Antragsteller*in: | KV Barnim (dort beschlossen am: 21.03.2023) |
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Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
10. V15: Weniger ist mehr – gesellschaftlicher Wohlstand abseits von Konsum – und Wachstumszwängen
Antragstext
Wir als Bündnis 90/Die Grünen stellen uns mutig an die Spitze derjenigen, denen es ernst darum ist, eine Lebensweise anzustreben, die ein bewusstes Leben des Genug als fortschrittlich ansieht. Wir wollen für die Zukunft unseres Planeten und der künftigen Generationen Verantwortung übernehmen. Denn allen muss bewusst werden, dass wir jetzt handeln und umsteuern müssen, um nicht später einen großen und unkontrollierbaren Verlust erleiden zu müssen. Alles Handeln von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft muss so schnell wie möglich darauf ausgerichtet werden, das 1,5°C-Ziel zu erreichen.
Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Aufbruch, der das Wohl aller vor den Profit einzelner stellt. Dafür braucht es einen gesellschaftlichen Wohlstand, der abseits von Konsum- und Wachstumszwängen neu definiert ist. Das exponentielle Wachstum steht der Chance, einen „ökologischen Fußabdruck“ innerhalb unserer planetaren Grenzen zu erreichen, entgegen.
Dafür benötigen wir eine neue Fortschrittserzählung, die sich an Suffizienz orientiert. Unter Suffizienz verstehen wir die bewusste Reduktion unseres Bedarfs an Ressourcen, insbesondere von nicht erneuerbaren. Das Konzept basiert auf einem Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität, das andere Werte als Konsum in den Vordergrund rückt. Das Ziel von Suffizienz ist, die Ressourcennutzung so zu gestalten, dass auch zukünftige Generationen ihre legitimen Bedürfnisse decken können, indem wir heute und zukünftig bei unserem Verbrauch maßhalten.
Deshalb beschließt die Landesdelegiertenkonferenz:
Suffizienz ist das Leitprinzip unseres politisch-ökologischen Handelns.
Wir haben als Gesellschaft das Maß verloren! Es muss kein Überfluss produziert werden, der unnötige Energie und Ressourcen verbraucht. Was nicht vermieden werden kann, muss sparsam eingesetzt („Effizienz“) oder erneuerbar erzeugt werden („Konsistenz“). Grundlage unserer Politik sollen die folgenden Punkte sein
- Suffizienz soll erlernt, gelehrt und als Wert wiedererkannt werden
Suffizienz kann auf einen breiten Erfahrungsschatz aufbauen: Möglichkeiten zum Einsparen von Ressourcen und Energie sind bekannt und entsprechen oft einfacher Logik. Dennoch haben wir verlernt, danach zu handeln. Wir müssen in Wirtschaft und Gesellschaft umdenken. Dabei ist ein politisch geförderter und gesamtgesellschaftlicher Lernprozess nötig. Das Ziel muss sein, ein Bewusstsein für begrenzte Energien, Ressourcen und unser für das Erreichen des Klimaziels von 1,5°C begrenztes CO2-Kontingent zu schaffen.
2. Bedarfe müssen verbindlich und wiederkehrend reflektiert und evaluiert werden!
Es braucht eine radikale Debatte darüber, welche Bedürfnisse und Wünsche Grundlage eines guten Lebens sind. Ziel muss es sein, Lebensqualität zu erhalten und die Folgen des Klimawandels abzumildern.
3. Unsere Politik soll die deutliche Botschaft senden, dass Suffizienz eine gemeinsame Aufgabe und ein wichtiger Baustein einer Strategie zur Erreichung des 1,5 °C-Zieles ist
Zielgruppengerechte Aktivierungskampagnen und konzertierte Aktionen („wir sparen gemeinsam“) sollen zu einem breiten Verständnis beitragen.
4. Suffizienzmaßnahmen sollen in eine geeignete Wirtschaftspolitik eingebettet werden.
Eine suffiziente Wirtschaftspolitik nimmt nicht nur Einzelindividuen als Konsumenten in die Pflicht, sondern vor allem Produzent*innen und das staatliche Handeln. Staatliche Investitionen und Subventionen müssen in Zukunft dahingehend überprüft werden, ob sie suffizient sind bzw. suffiziente Wirtschaftsleistung fördern. Wirtschaftsförderung richtet sich in Zukunft daran aus, ob Unternehmen suffizient arbeiten und fördert explizit Unternehmen, die hier innovative Lösungen entwickeln. Hierfür werden transparente Kriterienkataloge erarbeitet und herangezogen.
5. Suffizienz soll mit Preissignalen und Ordnungsrecht gesteuert werden
Öffentliche Mittel sollen nicht den Verbrauch subventionieren, sondern die Schwächsten entlasten und Hilfen anbieten. Finanziell stärker gestellte Menschen sollen solidarisch einbezogen werden, finanziell schwächer gestellte Menschen sind zu unterstützen. Finanzieller Wohlstand darf kein umweltschädliches Verhalten legitimieren.
6. Gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge soll ausgebaut und Privatisierung zurückgefahren werden!
Soziale und ökologische Folgen sollen bei allen Aktivitäten berücksichtigt werden. Begrenzte Ressourcen sollen gerecht verteilt werden. Eine Grundversorgung mit Wohnen, Wärme, Wasser, Strom, Bildung, Mobilitätsdienstleistungen, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung muss für alle Menschen garantiert werden bzw. für den Einzelnen bezahlbar sein.
7. Forschung und Wissenschaft für ein suffizientes Leben fördern
Es gilt, Forschung zu fördern, die Wege aufzeigt, ohne Wirtschaftswachstum und ein ständiges Mehr an Wohlstand leben zu können. Die Kosten und Risiken von Suffizienz müssen den Vorteilen für Umwelt und Gesellschaft bzw. den volkswirtschaftlichen Kosten und Risiken eines „Weiter so“ gegenübergestellt werden.
8. Der Wirtschaft Planbarkeit für die Transformation geben
Wir müssen sowohl die Politik, die Gesellschaft als auch die Wirtschaft darauf vorbereiten, dass bei Beibehaltung der bisherigen Politik katastrophale zerstörerische Effekte durch den Klimawandel eintreten werden. Deshalb müssen wir umgehend planvoll in die Transformation gehen. Eine Wirtschaftspolitik, die sich frühzeitig zu Suffizienz bekennt, gibt einen verlässlichen Rahmen und Planungssicherheit für Unternehmen und schafft zukunftssichere Arbeitsplätze.
Begründung
Bisher haben wir es als Bündnis 90/Die Grünen nicht geschafft, als Vorreiter eine attraktive Zukunftsvision zu formulieren und damit gesellschaftlich in der Breite durchzudringen. Wir müssen dazu beitragen, dass die bisherige Lebensweise von der Mehrheit kritisch reflektiert und es der Mehrheit möglich wird, dem neuen attraktiven Fortschrittsgedanken zu folgen. Denn laut neuesten Studien hat durchaus eine Mehrheit verstanden, dass es zu einem Wandel kommen muss. Dennoch gilt nach wie vor ein stetiges Mehr an Konsum und Komfort als attraktiv und damit unausweichlich. Dies hat uns in eine globale ökologische Krise geführt.
Da wir die Fortschrittserzählung nicht erfolgreich umgedeutet haben, wurde bisher bestenfalls versucht, Symptome zu bekämpfen, jedoch nicht die Ursachen – denn das ist nach wie vor für die Mehrheit nicht attraktiv. Noch immer erachtet eine Vielzahl der Deutschen den Klimaschutz für nicht umsetzbar. Dabei wird übersehen, dass es vor allem die reichsten 10 % der Bevölkerung sind, die sich bewegen müssen. Sie stoßen mehr CO2 aus als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Demnach ist der Weg für eine Mehrheit der Bevölkerung gar nicht so weit.
Gleichzeitig wird große Hoffnung in zukünftige Technologien gesetzt, die aktuell noch nicht erfunden wurden oder größtenteils in naher Zukunft nicht die notwendigen Effekte erreichen (z.B. Fusionsenergie, CCS, eFuels etc.). Sie werden auch in Summe nicht ausreichen. Der einzig sichere Weg, die ökologische Katastrophe abzumildern und die globale Erwärmung unter 1,5°C oder schlimmstenfalls auf 2°C zu begrenzen, besteht für die einkommensstarken Länder darin, das aberwitzige Tempo von Extraktion, Produktion und Vermüllung aktiv und deutlich zu drosseln. Es deutet nichts darauf hin, dass eine absolute Entkopplung gelingt.
Der technologische Fortschritt allein wird die Dekarbonisierung nicht rechtzeitig erreichen, es braucht ein nachhaltiges Wirtschaften ohne unnötigen Konsum und kontinuierliches Wachstum.
Unser Wirtschaften in Brandenburg und im globalen Norden darf nicht weiter zulasten anderer Menschen, vor allem im globalen Süden, gehen. Die Brandenburger Bündnisgrünen sprechen sich deutlich gegen die fortschreitende Zerstörung von Natur und Gesellschaft zugunsten wirtschaftlichen Wachstums und Überkonsums aus und bekennen sich dazu, auf eine Gesellschaft hinzuarbeiten, die nicht auf steigendes Wirtschaftswachstum angewiesen ist.
Aufgrund des erschreckenden und immer weiter voranschreitenden Kollapses unserer Ökosysteme sowie immer häufiger auftretender Klimakatastrophen, sowohl bei uns als auch weltweit, ist es in jedem Fall unvermeidbar, dass das Wirtschaftswachstum in den reichen Ländern des globalen Nordens zurückgeht. Die einzige Frage ist, auf welche Art und Weise dies passieren wird: geplant, also auf demokratischem Wege und sozial verträglich, oder ungeplant durch Katastrophen. Es ist nötig, sofort einen geplanten Weg einzuschlagen, um den Schaden am Klima und somit an Gesellschaft und Wirtschaft so gering wie möglich zu halten.
Änderungsanträge
- Ä52 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä53 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä54 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä55 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä56 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä57 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä58 (Viviane Triems (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä81 (Michael Kellner (KV Uckermark), Eingereicht)
- Ä104 (Antonius Naumann (LV Grüne Jugend Brandenburg), Eingereicht)
- Ä105 (Antonius Naumann (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä106 (Antonius Naumann (KV Potsdam), Eingereicht)
- Ä127 (Per Wiek (KV Barnim), Eingereicht)
- Ä128 (Per Wiek, Zurückgezogen)