Status: | Beschluss |
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Beschluss durch: | 47. Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 19.11.2022 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Oder retten – Oderausbau stoppen!
Beschlusstext
1. Den geplanten Ausbau der Oder lehnen wir ab und fordern einen Rückbau der bereits erfolgten Baumaßnahmen.
2. Wir begrüßen, dass das Brandenburger Umweltministerium mit Rückendeckung des Kabinetts Klage gegen den Oderausbau eingereicht hat, der aktuell einseitig auf polnischer Seite vorangetrieben wird.
3. Wir fordern das Bundesverkehrsministerium auf, in enger Abstimmung mit dem Bundesumweltministerium das Deutsch-Polnische Abkommen von 2015 zum Oder-Ausbau neu zu verhandeln, mit dem Ziel es auf naturnahen Hochwasserschutz und die lokale Beseitigung von Schwachstellen beim Eisbrechereinsatz zurückzuführen. Denn die Umsetzung des Abkommens widerspricht dem EU-Umweltrecht und ist veraltet: Es entstand vor den Dürresommern der letzten Jahre und kalkuliert den Klimawandel und Extremwettereignisse nicht mit ein. Unter den Bedingungen der Klimakrise muss sich die Schifffahrt vermehrt den Flüssen anpassen und nicht umgekehrt.
4) Wir fordern das für die Oder als Bundeswasserstraße zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt auf, in seiner neuen Zuständigkeit für die EU-Wasserrahmenrichtlinie diese zügig an der Oder umzusetzen und ggf. Maßnahmen zu korrigieren oder zu stoppen, wenn sie dieser widersprechen. Auf deutscher Seite braucht es ein Moratorium sämtlicher Baumaßnahmen bis zu einer Neuverhandlung des Deutsch-Polnischen Abkommens.
5. Die Weltbank, die Europäische Kommission und die Entwicklungsbank des Europarats fordern wir dazu auf, die eigentlich für den Hochwasserschutz bewilligten, nun aber für den wirtschaftlichen Ausbau eingesetzten Fördermittel zu überprüfen und ggf. zurückzufordern. Spätestens seit der Umweltkatastrophe gehören die geförderten Projekte auf den Prüfstand. Auf keinen Fall dürfen die Fördermittel für die Umwandlung der der Oder in eine überdimensionierte Wasserstraße und ihre Schädigung als einer der letzten freifließenden europäischen Flüsse eingesetzt werden.
6. Die geplante Vertiefung und der Ausbau der Oder muss umgehend gestoppt werden, da sie einen massiven Eingriff in den Grundwasserhaushalt der Flussregion darstellt und Regionen wie das Untere Odertal und das Oderbruch existentiell gefährdet. Sie führt auch zu einer Austrocknung landwirtschaftlich genutzer Böden.
7. Es braucht eine ehrliche Wirtschaftlichkeitsprüfung der Baumaßnahmen, da die Oder für die meisten Unternehmen aufgrund ihrer schwankenden Wasserstände unattraktiv ist. Daran würde auch ein Tiefgang von 1,80 nichts ändern. Selbst Flüsse wie der Rhein drohen trocken zu fallen. Eine Verlagerung vom LKW auf die Wasserstraße hat keine positive Ökopbilanz, wenn dafür großflächig naturnahe Lebensräume zerstört werden und CO2 in den trockenfallenden Auen freigesetzt wird. Stattdessen muss in den Ausbau des Schienennetzes investiert werden.
8. Die Ursachen für das Fischsterben Ende Juli/ Anfang August 2022 müssen lückenlos aufgeklärt werden. Die im Oktober erneut gemessenen hohen Salzeinleitungen zeigen, dass das Problem keineswegs gelöst ist und jederzeit wieder auftreten kann. Daher braucht es eine Verbesserung von Meldeketten und eine Überprüfung aller genehmigten sowie nicht genehmigten Einleitungen in den Fluss und seine Nebenflüsse sowie insbesondere Grenzwerte auf europäischer Ebene für die Einleitung von Salzen.
9. Wir begrüßen die vom Bundesumweltministerium in Aussicht gestellten Mittel zur Renaturierung der Oder und zur Wiederansiedlung des baltischen Störs. Die Oder muss zügig Teil des Projekts „Blaues Band“ werden. Gleichzeitig ist jedoch klar: Eine Renaturierung der Oder kann nur gelingen, wenn der Ausbau gestoppt wird, sonst werden die Renaturierungsbemühungen durch den Ausbau umgehend zunichte gemacht.
10. Wir begrüßen die Unterstützung, welche die Landesregierung den Fischereibetrieben entlang der Oder zugesagt hat. Gleichzeitig braucht es auch konkrete Hilfen für die betroffenen Tourismusbetriebe entlang der Oder, die ebenfalls massive Einbußen hinnehmen mussten.
Begründung
Retten wir die Oder und helfen dem Fluss und seiner Fauna und Flora sich nach dem schrecklichen Fischsterben zu erholen.
Die Oder ist einer der letzten freifließenden Flüsse Europas. Als relativ naturnaher Fluss verfügt die Oder über weite Auenflächen und Überflutungspolder, die bisher einer Vielzahl bedrohter Tier- und Pflanzenarten ein zu Hause sind.
Mit dem verheerenden Fischsterben im Sommer 2022 ist nun das gesamte Ökosystem massiv geschädigt worden. Mehrere Hundert Tonnen toter Fische, Muscheln und Schnecken wurden von deutscher und polnischer Seite geborgen.
Die Gründe für diese menschengemachte Umweltzerstörung werden aktuell untersucht, sehr wahrscheinlich sind sie vielfältig. Fest steht jedoch, dass stark salzhaltiges Wasser in großen Mengen in die Oder geleitet wurde. Dadurch konnte sich eine Brackwasseralge explosionsartig vermehren. Ihre Blüte wiederum hat ein Gift ausgeschüttet, das für Fische, Muscheln und Schnecken tödlich ist. Diese „Giftwelle“ rollte über 500 Kilometer durch die Oder. Hitze, Aufstauung und ein geringer Durchfluss haben die Folgen dieses Umweltverbrechens weiterhin verstärkt.
Die Oder wird wahrscheinlich Jahre brauchen, um sich von dieser Schädigung zu erholen. Jetzt geht es darum, dass sich der Fluss und all die von ihm abhängigen Lebewesen die Zeit und nötige Ruhe für diese Regeneration bekommen. Das letzte was die Oder braucht, sind weitere menschliche Eingriffe zu Lasten des Ökosystems.
Doch ein bereits begonnener Ausbau des Flusses auf polnischer Seite gefährdet die angeschlagene Oder. 2015 hat die von der CDU/CSU-geführte Bundesregierung ohne Beteiligung des Parlaments ein bilaterales Abkommen mit Polen geschlossen. Dieses Abkommen öffnete die Tür für den verkehrlichen Ausbau der Oder. Was in dem Abkommen als Instandhaltungsmaßnahmen bereits existierender Buhnen zur Ermöglichung von Eisbrechereinsätzen definiert ist, zeigt sich als massiver Eingriff und großflächiger Ausbau. Die polnische Regierung will damit die Bedingungen für die unterrepräsentierte Schifffahrt auch bei Niedrigwasser verbessern. Weitergehende Pläne beabsichtigen sogar, neue Staustufen in der Oder zu bauen. So soll einer der letzten freifließenden Flüsse Europas zu einer Wasserautobahn werden. Die Umweltkatastrophe an der Oder ist ein Weckruf, was in Flüssen überall auf der Welt passieren kann, wenn die Auswirkungen der Klimakrise mit weiteren Nutzungen zusammenkommen.
Die Vertiefung der Oder durch den Ausbau bedroht die einzigartige Flusslandschaft des Nationalparks „Unteres Odertal“. Für Brandenburg hat der einzige deutsche Auen-Nationalpark eine herausragende Stellung für den Wasserhaushalt und die Biodiversität im Oder-Einzugsgebiet. Menschen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, unser Brandenburger Umweltminister Axel Vogel und unsere bündnisgrünen Landtagsabgeordneten setzen sich bereits stark dafür ein, die Oder vor weiteren Eingriffen zu schützen. Weitere Unterstützung finden sie durch unsere Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Abgeordnete im Bundestag und EU-Parlament. Es ist dringend notwendig, dass wir gemeinsam weiter Druck ausüben und uns geschlossen gegen den Ausbau der Oder und stellen: Auf der Straße, in unseren Parlamenten und Ministerien.
Der Ausbau ist eine weitere ökologische Katastrophe für den Fluss. Er ist nach der von unserer Europafraktion GRÜNE/EFA veranlassten juristischen Prüfung weder mit der FFH-Richtlinie, dem europäischen Artenschutzregime noch der europäischen Wasserrahmenrichtlinie vereinbar und verstößt gegen Bestimmungen der europäischen Umweltverträglichkeitsprüfungs-Richtlinie. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie verbietet z.B. sämtliche Maßnahmen, die den ökologischen Zustand unserer Fließgewässer verschlechtern.
Es ist dementsprechend gut und richtig, dass Umweltminister Axel Vogel gegen die ökologischen Auswirkungen der polnischen Ausbaumaßnahmen Klage eingereicht hat.
Spätestens angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise mit extremen Niedrigwassern und Hitzeperioden ist ein weiterer Ausbau für die Schifffahrt nicht mehr zeitgemäß. Auch unter wirtschaftlichen und verkehrlichen Gesichtspunkten ist der Ausbau aus deutscher Sicht mehr als fragwürdig.
Unser Ziel muss es jetzt sein, das Ökosystem der Oder nach der Ökokatastrophe wieder zu sanieren und schädliche Einflüsse zu minimieren. Dazu gehört auch, das Deutsch-Polnische Abkommen von 2015 zum Oder-Ausbau neu zu verhandeln. Dafür müssen die Gespräche mit der polnischen Seite fortgeführt werden - über die Aufklärung des Fischsterbens und über Fragen der weiteren Nutzung und des Ausbaus. Wir tragen gemeinsame Verantwortung für den Fluss.