Antragsteller*in: | LAG Soziales, Gesundheit und Arbeit (dort beschlossen am: 19.10.2022) |
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10. V25 NEU: Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge sichern
Antragstext
Die Krankenhäuser in Brandenburg stehen derzeit vor einer toxischen Mischung von Problemen: Aktuelle Schwierigkeiten (Mehraufwand und Erlösausfall wegen der Corona-Pandemie, steigende Preise für Energie, inflationäre Entwicklung) mischen sich mit strukturellen Mängeln der Krankenhausfinanzierung (Unterfinanzierung von Vorhaltekosten durch das DRG-System, Steuereinnahmeschwäche des Landes bei der Investitionsfinanzierung).
Dass Krankenhäuser vorhanden sind und funktionieren, ist eine zentrale Aufgabe des Sozialstaats. Wenn Menschen ins Krankenhaus müssen, wünschen sie sich aber auch, dass ihre beste Versorgung der Zweck des Krankenhauses ist, nicht der höchste Gewinn. Nach 20 Jahren Erfahrung mit Gewinnorientierung im Gesundheitswesen und Privatisierung von Krankenhäusern wächst in der Bevölkerung der Wunsch, zurück zu Krankenhäusern ohne Profit-Ziel zu kommen.
Wir Bündnisgrünen in Brandenburg stellen uns die Zukunft der Gesundheitsversorgung als integrierte Versorgung vor. Die Trennung in zwei Sektoren (Krankenhäuser, ambulante fachärztliche Versorgung) sowohl bei der Planung als auch der Finanzierung behindert Fortschritte und macht das Gesundheitswesen teuer. Deshalb wollen wir den Bedarf der Bevölkerung in den Mittelpunkt rücken, die Finanzierung auf nachhaltige Beine stellen, die Krankenhäuser zum Bestandteil einer integrierten Gesundheitsversorgung machen und dafür sorgen, dass im Gesundheitswesen das Streben nach bester Versorgung vor dem Renditestreben steht. Zur guten Versorgung gehört auch der regionale Blick auf die Prävention, Rehabilitation und Pflege.
1. Krankenhausfinanzierung reformieren und Investitionen finanzieren
Wir BündnisGrüne wirken im Bund in der Ampel-Koalition auf eine bedarfsgerechte Finanzierung der Krankenhäuser hin. Um eine Existenzbedrohung der Krankenhäuser abzuwenden, fordern wir schnelle Hilfe durch die Bundesregierung durch einen Energiezuschlag, Inflationsausgleich sowie Ausgleichszahlungen für die wirtschaftlichen Belastungen durch Corona. Diese aktuellen Probleme setzen auf einer chronischen Unterfinanzierung der Vorhaltekosten durch Fallpauschalen auf. Bei der Vergütung der Betriebskosten wollen wir eine neue Säule der Strukturfinanzierung, die die Vorhaltekosten abdeckt.
Auch Krankenhäuser müssen sich an der Bekämpfung der Klimakrise beteiligen. Auf das bundesweite Programm zur Förderung der Digitalisierung muss ein Programm zur Förderung der Energieeinsparung und Nachhaltigkeit folgen (Green Hospitals).
Wir begrüßen, dass das Land den Krankenhäusern in der aktuellen Situation zusätzlich rund 82 Mio € zur Verfügung stellt, um Energiekrise, Inflation und coronabedingte wirtschaftliche Lasten abzufedern. Die Investitionsmittel des Landes für die Krankenhäuser leiden unter den Absenkungen der Vergangenheit. Wir begrüßen, dass die Landesregierung die Mittel auf 110 Mio € gesteigert hat und sie in den kommenden Jahren auf dieser Höhe hält. Dennoch sind sie immer noch zu knapp bemessen. Die Koalition im Land fordern wir auf, die chronische Unterfinanzierung der Investitionen zu beenden und ausreichende Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen.
2. Integrierte Versorgung und zukünftige Aufgaben von Krankenhäusern
Wir Bündnisgrüne wollen eine integrierte Gesundheitsversorgung. Die Krankenhäuser sollen darin erweiterte Aufgaben haben. Zukunftsfähige Versorgungsstrukturen – insbesondere im ländlichen Raum – müssen über die Grenzen von Sektoren und Sozialgesetzbuchkapiteln hinweg gedacht und entwickelt werden. Unsere Grundsätze lauten: ambulant vor stationär, wohnortnah vor wohnortfern. Die Möglichkeiten moderner Medizin, unterstützt durch Digitalisierung, wollen wir nutzen!
Wir wollen auf Landesebene die separate Planung der Versorgung (stationär = Gesundheitsministerium/ambulant = Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg) in eine integrierte Versorgungsplanung überführen. Wir wollen, dass insbesondere Krankenhäuser der Grundversorgung in ländlichen Regionen dabei unterstützt werden, sich zu ambulant-stationären Gesundheitsanbietern vor Ort zu entwickeln. Der sektorenübergreifende kooperative Ansatz ist einer der entscheidenden Hebel für die Sicherstellung und Weiterentwicklung der zukünftigen regionalen Gesundheitsversorgung.
Das brandenburgische Modell in Templin hat erfolgreich gezeigt, wie eine ambulant-stationäre Einrichtung entstehen und arbeiten kann. Wir freuen uns, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA „der kleine Gesetzgeber im Gesundheitswesen“) es als so erfolgreich bewertet, dass es in die Regelversorgung übernommen werden soll. Überdies untersucht der G-BA in einem Prüfauftrag, ob das Projekt auf andere Regionen übertragen werden soll.
Wir wollen, dass Regionalbudgets der Krankenkassen eingeführt werden. Alle an der Gesundheitsversorgung beteiligten Akteure sollen zur Teilnahme verpflichtet werden.
Wir können diese Ideen in Brandenburg nur verwirklichen, wenn dies von der Ampel-Koalition auf Bundesebene ermöglicht wird. Deshalb fordern wir, dass ambulant-stationäre Versorgung als Grundprinzip ins SGB V einfügt, integrierte Versorgungsplanung zugelassen und Finanzierung jenseits der heute getrennten Geldtöpfe der Versorgungssektoren ermöglicht wird.
3. Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge
Für uns Grüne gehören Krankenhäuser zur Daseinsvorsorge. Sie sind keine Unternehmen zur Gewinnmaximierung. Kommunen müssen die Krankenhausversorgung im Interesse ihrer Bewohner*innen steuern und weiterentwickeln können. Das Land hat nach der Verfassung die Pflicht, die Krankenhausversorgung sicherzustellen. Während sich freigemeinnützige und private Träger aus der Versorgung zurückziehen können, kann das die öffentliche Hand nicht.
Deshalb wollen wir die Krankenhäuser in Brandenburg stabilisieren und so viele wie möglich davon in öffentlicher Hand betreiben. Wo Kommunen eine Rekommunalisierung ihres privatisierten Krankenhauses anstreben, können sie auf unsere Unterstützung zählen. Wir begrüßen die Verabredung im Koalitionsvertrag, alle Krankenhausstandorte im Land als Gesundheitsstandorte zu erhalten und bedarfs- und zukunftsgerecht weiter zu entwickeln. Darüber hinaus fordern wir, alle Krankenhausstandorte, die derzeit in öffentlicher Trägerschaft sind, in öffentlicher Trägerschaft und Kooperation zu sichern und nicht zu verkaufen. Für Plan-Krankenhäuser muss eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, die den Weiterverkauf privater Krankenhäuser an Finanzinvestoren ausschließt.
4. Krankenhausverbünde und -zusammenschlüsse fördern
Es ist für die Qualität der Versorgung von Patient*innen förderlich und es trägt zur wirtschaftlichen Stabilität bei, wenn Krankenhäuser in einer Region ihre medizinischen Leistungen aufeinander abstimmen. Auf dem Beschaffungsmarkt können größere Mengen zu günstigeren Preisen eingekauft werden. Um die Patient*innen wird nicht konkurriert, sondern das Angebot auf die Region und den Bedarf der Kranken abgestimmt. Brandenburg hat bereits gut funktionierende Krankenhausverbünde öffentlicher Krankenhäuser.
Wir unterstützen und fördern die Bildung von Krankenhausverbünden sowie Unternehmenszusammenschlüsse von kommunalen Krankenhäusern. Wir fordern die Landesregierung auf, kommunalen Trägern bei der Vorbereitung und in der Gründungsphase ggf. auch mit finanziellen Mitteln zur Seite zu stehen.
5. Krankenhausmitarbeiter*innen im Beruf halten mit anständiger Bezahlung – TVÖD durchsetzen!
Es gab in Brandenburg eine Zeit, in der alle kommunalen Krankenhäuser den Kommunalen Arbeitgeberverband verlassen haben oder in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ausgewichen sind, um ihre Beschäftigten schlechter zu bezahlen. Ärzt*innen vergüteten sie meist weiter auf Branchenniveau. Die Krankenhäuser Brandenburg/H. und Potsdam sind wieder eingetreten und zahlen ihren Beschäftigten in der Pflege und anderen Tätigkeiten wieder Löhne nach dem Branchentarifvertrag (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst - TVöD).
Wir fordern die Arbeitgeber der öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser auf, eine anständige Bezahlung auf Branchenniveau (TVöD) zu gewährleisten. Die kommunalen Krankenhäuser fordern wir außerdem auf, in den Kommunalen Arbeitgeberverband mit Tarifbindung zurückzukehren. Vom Asklepios-Konzern erwarten wir, dass er sich in Tarifvertragsfragen wie ein normaler Sozialpartner verhält, d.h. Tarifverträge im gesamten Konzern zulässt und darauf verzichtet, einen Tarifkonflikt wie in den Jahren 2020-2021 so in die Länge zu ziehen, dass Kliniken und Patient*innen ein ganzes Jahr lang nicht zur Ruhe kommen. Eigentum ermöglicht nicht nur Gewinne, sondern verpflichtet auch.
Begründung
Zu 1. (Krankenhausfinanzierung) Die finanziellen Handlungsspielräume von Krankenhausleitungen sind sowohl bei den Fallkosten als auch den Investitionen eingeengt. Im Fallpauschalensystem werden nur erbrachte Leistungen vergütet. Beispiel: Die normale Spontan-Geburt ist medizinisch der beste Fall, betriebswirtschaftlich aber ein Problem. Denn das Krankenhaus muss Tag und Nacht ein OP-Team bereithalten, falls ein Problem unter der Geburt auftritt (Vorhaltekosten), ohne dafür Einnahmen zu haben. Für Investitionen brauchen Krankenhäuser 8 % vom Umsatz (Gebäude, neue Behandlungsmöglichkeiten, Geräte usw.). Das Land Brandenburg zahlt knapp 5 % und liegt damit im Mittelfeld der Bundesländer. Wegen der seit langem bundesweit verbreiteten Unterfinanzierung der Investitionen sind für „normale“ Zukunftsinvestitionen der Krankenhäuser (z.B. Digitalisierung) immer wieder Sonderprogramme notwendig. Solange die Steuereinnahmen der Länder nicht substanziell verbessert werden (z.B. Vermögensteuer), wird auch für klimagerechte Investitionen der Krankenhäuser wieder ein Sonderprogramm benötigt.
Zu 2. (Integrierte Versorgung) Integrierte Versorgung ist eines der wichtigsten Zielbilder für die Zukunft des Gesundheitssystems in Deutschland. Brandenburg hat als Flächenland besonderes Interesse daran und die Bevölkerung hätte besonders viel Nutzen davon. Wir Bündnisgrünen verstehen uns als Motor dieser Entwicklung und haben dafür konkrete Vorhaben. Vor der Umsetzung im Land müssen dafür die Möglichkeiten in Bundesgesetzen, insbesondere im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung, geschaffen werden.
Zu 3. (Privatisierung) In den Privatisierungswellen der frühen 2000er Jahre wurden Krankenhäuser aller Versorgungsstufen verkauft, ohne Rücksicht darauf, ob sich die öffentliche Hand in eine Abhängigkeit von Konzernen begibt. Brandenburg liegt mit einem Marktanteil privatisierter Krankenhäuser (22,0 % der Betten 2019) über dem Bundesdurchschnitt (19,3 % der Betten 2019) und über Berlin (20,3 % der Betten 2019). Wir halten diese Politik in der Vergangenheit für unverantwortlich und kurzsichtig. Ebenso kurzsichtig war es auch, dass für den Weiterverkauf von privatisierten Krankenhäusern oft kein Vetorecht oder Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand vorgesehen wurde. Hier brauchen wir eine Weiterverkaufsbremse. Der Unterschied zwischen einem Gesundheitskonzern und einem Finanzinvestor ist beträchtlich. Ein Gesundheitskonzern muss bei allem Gewinnstreben auch seinen guten Ruf als Gesundheitsdienstleister erhalten. Ein Finanzinvestor zielt darauf, das Krankenhaus mit hohem Profit weiterzuverkaufen. Zum Geschäftsmodell gehört auch die Aufspaltung und Neukombination von Unternehmen als Mittel zur Wertsteigerung. Das ist meilenweit von den Interessen der Bevölkerung entfernt.
Der erste Weiterverkauf an einen internationalen Finanzinvestor könnte bevorstehen. In Brandenburg würde es das Helios Klinikum Bad Saarow betreffen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am 27.8.2022, dass der Helios-Chef mit den großen Finanzinvestoren KKR und CVC über einen Verkauf der Anteils-Mehrheit verhandelt hat. Der im August neu bestellte Konzernchef der Fresenius SE & Co. KGaA stoppte die Verhandlungen vorübergehend, weil er sich zunächst ein eigenes Bild machen wolle. Helios ist der größte Krankenhauskonzern in Europa und Tochterkonzern von Fresenius. Mit Weiterverkauf sind alle Transaktionen/Verkäufe gemeint, mit denen die Entscheidungsgewalt über Eigentümer/Kontrolle/Steuerung der Trägergesellschaft auf einen Finanzinvestor übertragen wird (z.B. teilweise oder ganzer Wechsel des Gesellschafters, auch Verkauf der Mehrheit der Anteile).
Zu 4. (Verbünde und Zusammenschlüsse) In der Medizin wird darauf hingearbeitet, dass das Personal möglichst viel Erfahrung hat. Es gilt der Grundsatz, dass Spezialisierung die Qualität fördert. Betriebswirtschaftlich ist es von Vorteil, doppelte Strukturen zu vermeiden und Größenvorteile zu erreichen. Deshalb trägt Zusammenarbeit und Zusammenschluss auch zur wirtschaftlichen Stabilität bei. Größere Verbünde sind besser in der Lage, Notfallversorgung in der Fläche mit spezialisierter Patientenbehandlung an konzentrierten Standorten zu kombinieren. Die Verbund-Förderung wird auf kommunale Krankenhäuser konzentriert entsprechend unserem Ziel, möglichst viel Krankenhausversorgung in öffentlicher Hand und öffentlicher Steuerung zu halten.
Zu 5. (Krankenhausmitarbeiter*innen) Bis zu 300.000 bis 600.000 Pflegende würden wieder in den einmal ausgeübten Beruf zurückkehren, wenn sie gute Arbeitsbedingungen vorfänden und Patient*innen ausreichend fachgerecht versorgen könnten (Potentialanalyse Auffenberg u.a. 2022). Und selbstverständlich wollen sie nicht schlechter bezahlt werden als in der Branche üblich. Dabei vergleichen sich Beschäftigte in kommunalen Krankenhäusern zu Recht auch mit ihren Kolleg*innen im kommunalen Verwaltungs-, Sozial- und Erziehungsdienst, die nach TVöD bezahlt werden. Bei wachsenden Problemen, junge Menschen für einen Beruf im Krankenhaus zu gewinnen, Personal im Krankenhaus zu halten und neues zu gewinnen, ist es kurzsichtig, gleichzeitig zu Lasten der Beschäftigten bei den Personalkosten sparen zu wollen.