Antragsteller*in: | LAG Digitales und Medien (dort beschlossen am: 08.10.2022) |
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20. V27: Gerechtigkeit und Teilhabe in einer digitalisierten Welt
Antragstext
Die Digitalisierung hat mittlerweile starke Auswirkungen auf viele Aspekte
unseres Alltags – beispielsweise Lernen, Informieren, Kommunizieren und
Arbeiten. Digitale Teilhabe und digitale Chancengleichheit sind damit zunehmend
Voraussetzung für gesellschaftliche Mitwirkung und eine gerechte Gesellschaft.
Die Digitalisierung bietet große Chancen für eine gesellschaftliche Teilhabe,
für die Beendigung von Diskriminierungen und die Gleichstellung der
Geschlechter. Hierfür ist es allerdings erforderlich, dass allen Menschen der
gleiche Zugang zu einer und ein Zurechtfinden in einer sich immer weitere
digitalisierenden Welt ermöglicht wird. Die Digitalisierung muss daher aktiv
gestaltet werden, sodass alle Menschen gleichermaßen von ihren Vorteilen
profitieren können.
Hierzu müssen insbesondere folgende Grundlagen geschaffen werden:
1.Der Zugang muss für alle möglich sein! Barrierefreiheit,
Leichte Sprache und Mehrsprachigkeit müssen Standard in der
digitalen Welt werden.
Die konsequente Umsetzung von Barrierefreiheit, ein mehrsprachiges Angebot sowie
ein Angebot in Leichter Sprache ist unbedingte Voraussetzung digitaler Teilhabe.
Alle Menschen haben ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen
des Lebens, sowohl im digitalen als auch im analogen Bereich. Wir alle nutzen
immer mehr digitale Technik, im Alltag und im Beruf, da unsere Welt immer
digitaler wird. Viele digitale Angebote sind jedoch nicht nutzer:innenfreundlich
gestaltet und beschränken so die Nutzung von einzelnen Personengruppen oder
schließen diese gar aus. Anders gesagt: Sie sind nicht barrierefrei und
teilhabeorientiert.
Existierende umfassende Standards und Richtlinien, wie die "Web Content
Accessibility Guidelines (WCAG)", und EU-Richtlinie, Bundesverordnung und
Landesverordnung zur Barrierefreiheit im digitalen Raum, wie die Unterstützung
für Vorlesefunktion, Anpassung von Schriftgröße, Kontrast und Animationen und
Übersetzungsfunktionen müssen bei digitalen Angeboten konsequent umgesetzt
werden. Insbesondere muss die Barrierefreiheit und einfache Nutzbarkeit mobiler
Endgeräte sichergestellt werden, da diese eine besondere Rolle in unserem
(digitalen) Alltag einnehmen. Es muss möglich sein, dass diese Funktionalitäten
von allen Menschen einfach genutzt werden können, da im Alltag immer öfter
Dienstleistungen nur noch mit Hilfe von Computern, Smartphones oder Automaten
nutzbar gemacht werden, wie z.B. Fahrscheine kaufen, Geld überweisen oder
Eintrittskarten bestellen. Wir sind also immer mehr auf digitale Technik
angewiesen. Etwa für ältere Menschen oder Menschen mit einer körperlichen,
geistigen oder Sinnesbehinderung kann diese Digitalisierung des Alltags ein
Hindernis darstellen, das sie ohne Hilfe nicht überwinden können und so
eventuell gar von Angeboten ausgeschlossen werden. Daher ist es für uns höchste
Priorität bei digitalen Angeboten und Entwicklungen in Brandenburg stets darauf
zu achten, dass diese von allen Menschen gleichermaßen wahrgenommen werden
können.
Flächendeckende Umsetzung Digitaler Barrierefreiheit
- ist ein Muss für viele Menschen mit körperlichen und oder geistigen
Einschränkungen und/oder Behinderungen. Sie können digitale Angebote sonst
nicht nutzen.
- ist sehr wichtig für ältere Menschen von heute und morgen. Und auch
Menschen, die z. B. nicht gut sehen, lesen oder sich konzentrieren können,
profitieren von barrierefreien Angeboten.
- bedeutet höchste Nutzer:innenfreundlichkeit für alle Menschen.
2. Geschlechtergerechtigkeit muss im digitalen Raum
ausdrücklich gestärkt werden!
Wir wollen geschlechterspezifische Aspekte bei der Digitalisierung durchgängig
beachten, denn die digitale Transformation wirkt sich auf unterschiedlichste
Bereiche (ökonomische, politische, gesellschaftliche, kulturelle) von allen
Menschen aus. Der digitale Transformationsprozess sollte eine Gleichbehandlung
aller anstreben und nicht dazu führen, dass bestehende Ungleichheiten
reproduziert werden. Chancen der Digitalisierung müssen geschlechtergerecht
genutzt und Risiken dürfen nicht ungleich verteilt werden.
Geschlechtergerechtigkeit im digitalen Raum muss insbesondere Folgendes
gewährleisten:
- Besonders Mädchen und Frauen müssen vor Angriffen und Übergriffen im
digitalen Raum geschützt werden.
- Mobile Arbeit ist eine Chance für mehr berufliche Gleichstellung von
Frauen und Männern, da durch mehr Flexibilität die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf gefördert wird. Mobile Arbeit muss aus diesem Grund
weiter ausgebaut und besonders gefördert werden.
- Die Förderung von Mädchen und jungen Frauen zum Erwerb von sogenannten
"MINT"-Berufen muss intensiviert und stereotyper Bildung und Erziehung in
Kita und Schule muss entgegengetreten werden.
- Gründungen von Frauen in der Digitalbranche müssen besonders gefördert
werden, um strukturelle Benachteiligungen auszugleichen.
3. Lebenslanges Lernen, Aus- und Weiterbildung sind
Voraussetzungen gerechter digitaler Transformation
Unerlässlich für eine digitale Teilhabe ist die Entwicklung und
Weiterentwicklung von digitaler Kompetenz für Menschen aller Altersgruppen. .
Hierbei wird ein lebenslanges Lernen, welches der Verbesserung von Wissen,
Qualifikation und Kompetenzen und somit auch der Anpassungsfähigkeit an
veränderte Bedingungen in allen Lebensbereichen dient sowie die berufliche
Weiterbildung immer wichtiger.
Digitale Services der Kommunen werden ausgebaut und diese sollen und wollen wir
nutzen, Fake News wollen erkannt und die eigenen persönlichen Daten und
Informationen geschützt werden. Bei diesen Herausforderungen müssen wir die
Menschen in Brandenburg unterstützen. Besonders Ältere und Menschen ohne oder
mit wenig digitaler Vorbildung, wollen wir in die Lage versetzen, diese
lebenslangen Herausforderungen zu meistern.
Wir setzen uns deshalb für niedrigschwellige Bildungsangebote im
Erwachsenenbereich ein, die digitale Kompetenzen entwickeln und stärken sollen,
um eine lebenslange Partizipation in allen Lebens-, Bildungs- und
Arbeitsbereichen zu ermöglichen. Hier wollen wir besonders Frauen und ältere
Menschen fördern.
Für Frauen gilt darüber hinaus, dass Elternschaft bei Männern und Frauen
ungleiche Auswirkungen auf die berufliche Weiterbildung und Karrieren hat.
Stereotype Vorstellungen von Arbeitsteilung im privaten Bereich bestehen immer
noch. Daher wollen wir besonders Frauen unterstützen an beruflichen
Weiterbildungsangeboten teilzunehmen und hier im Besonderen ihre Lebensumstände
zu berücksichtigen.
Wir wollen daher entsprechende Bildungsangebote öffentlicher und privater
Bildungsträger in Brandenburg etablieren, fördern und ausbauen.
4. Jungen Menschen die digitale Teilhabe ermöglichen
Die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen ist durch das Verschmelzen der
digitalen und analogen Welten gekennzeichnet. Sie sind daher insbesondere auf
gerechte Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten angewiesen. Wir sehen es daher als
unsere Verpflichtung an, darauf hinzuwirken, dass allen jungen Menschen in
Brandenburg die gleichen Chancen und Möglichkeiten zur Teilhabe in Hinblick auf
gelingende soziale Beziehungen, politische Beteiligung aber auch in den Feldern
Bildung und Schulbildung ermöglicht werden.
Kinder und Jugendliche aus ressourcenarmen Familien und besonders arme und
armutsgefährdete Kinder und Jugendliche wollen wir in den Schulen und außerhalb
der Schulen besonders in ihren digitalen Kompetenzen fördern, um Nachteile
bestehender Ungleichheiten auszugleichen und den Zugang niederschwellig öffnen.
Alle junge Menschen müssen in Schule bzw. Ausbildung und außerhalb von formalen
Bildungs- und Ausbildungsstätten ausreichend Zugang zu digitalen Endgeräten,
niedrigschwelligen Internetzugang und ausreichendem Datenvolumen haben, um nach
eigenen Wünschen und Interessen zu lernen, sich zu beteiligen, sich zu vernetzen
und zu spielen. Digitale Ausstattung für junge Menschen innerhalb und außerhalb
von Schule muss besonders gefördert bzw. die Entwicklung kostengünstiger
Lösungen unterstützt werden. Digitale Angebote müssen medienpädagogisch
begleitet werden.
- Digitale Bildung und Qualifizierung von Schülerinnen und Schülern ist
besonders wichtig, um Ihnen eine freie Berufswahl zu ermöglichen.
Besonders im Hinblick auf den zu geringen Frauenanteil in MINT-Berufen ist
dies wichtig. Hierdurch kann dem bestehenden Fachkräftemangel
entgegengewirkt werden.
- Weitergehend müssen junge Menschen im digitalen Raum besonders vor
Übergriffen, Angriffen und Verletzungen geschützt werden. Sie haben das
Recht, sich in digitalen Räumen genauso wie in analogen Räumen
auszuprobieren, zu lernen und Fehler zu machen, ohne dafür lange oder
gravierende negative Konsequenzen fürchten zu müssen, die sie selbst nicht
einschätzen können. Angebote wie die "Internetwache Brandenburg" müssen
für junge Menschen bekannt und nutzbar sein und Angebote wie HateAid auf
Landesebene gefördert werden und insbesondere jungen Menschen bekannt
gemacht werden.
5. Digitale Systeme müssen diskriminierungsfrei gedacht und
entwickelt werden, sodass Chancen der digitale
Transformation für eine gerechte Gesellschaft konsequent
genutzt werden können
Durch den Einsatz von Tools und die Nutzung von automatisierten Entscheidungssystemen beispielweise über
künstliche Intelligenz darf es zu keiner Diskriminierung, gleich welcher Art
kommen. Algorithmen sind nicht neutral, sondern durch die nutzbargemachten Daten
können sie ein Spiegel der bestehenden gesellschaftlichen Ungleichheit und
ungerechten Strukturen werden. Es gilt daher zu verhindern, dass Ungleichheiten
und Diskriminierungen durch entsprechende Tools in der digitalen Welt übernommen
oder gar verstärkt werden.
Die digitale Welt bietet Teilhabemöglichkeiten, die eine voll analoge Welt
niemals bieten kann: Wir sind ortsunabhängiger und zeitunabhängiger und pflegen
soziale Beziehungen ohne uns real zu begegnen. Digitale System unterstützen
Inklusion, Information sind frei zugänglich und neue Formen der Beteiligung und
Teilhabe etablieren sich im digitalen Raum. Diese Chancen möchten wir in
Brandenburg insbesondere nutzen und fördern.
6. Digitalisierung ist immer menschenzentriert und nicht
Selbstzweck
Digitale Transformation darf nicht als "Übersetzung" analoger Prozesse und
Verfahren in digitale Prozesse und Verfahren nach dem Prinzip "je mehr desto
besser" verstanden werden. Vielmehr bietet die Digitalisierung die Chance einer
kritischen Prozessanalyse und ggf. zur Verbesserung von bestehenden Prozessen,
Angeboten und Verfahren sowie die Entwicklung neuer Angebote, die unser
Zusammenleben verbessern und bereichern. Wir sehen digitale Lösungen unbedingt
auch als Ergänzung zu bestehenden analogen Angeboten, Verfahren und
Dienstleitungen.
Zugänge müssen insoweit gleichberechtigt möglich sein, insbesondere gilt dies
beim Zugang zu Verwaltungsdienstleitungen. Genauso wie es ein Recht auf
digitalen Zugang geben sollte, darf das Recht auf analogen Zugang nicht
aufgegeben werden. Wir möchten uns auf das Zusammenleben in einer hybriden
Gesellschaft vorbereiten, in der nicht mehr zwischen analogem oder digitalem
Zugang oder Umsetzung unterschieden wird, sondern jeweils die effektivste und
effizienteste Lösung etabliert ist, die niederschwellig und auf mehreren Wegen
zugänglich ist. Es darf in Zukunft in Brandenburg keinen Unterschied mehr
machen, ob eine Dienstleistung mündlich, schriftlich oder digital bestellt oder
beantragt wird, egal ob es sich um einen Arzttermin, einen Ticketkauf im ÖPNV
oder Leistungen im Bereich der Daseinsfürsorge handelt, sodass allen Menschen
ein Zugang zu den Leistungen ermöglicht wird.
Um die Chancen, die sich durch die digitalen Transformationsprozesse ergeben
umfassend in einer Gesellschaft nutzbar zu machen, ist es erforderlich, dass die
Frage der digitalen Teilhabe, der Gerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit
sowie Weiterbildungs- und Lernangebote und Förderung der digitalen Kompetenzen
von Kindern und Jugendlichen, in der Umsetzung aller Digitalisierungsvorhaben
und der Entwicklung von Digitalisierungsstrategien für das Handeln der
Landesverwaltung leitend sind.
Begründung
Unser gesellschaftliches Leben ist immer stärker mit der digitalen Welt verwoben. Digitale Technologien haben das Potenzial Hürden abzubauen und Teilhabe zu ermöglichen - umgekehrt folgt aus fehlendem Zugang (und fehlende Zugänglichkeit) zu digitalen Technologien verringerte gesellschaftliche Teilhabe. Den digitalen Wandel müssen wir deshalb geschlechtergerecht, diskrimierungsfrei, barrierefrei und mit Blick auf alle Altersgruppen für alle Menschen zugänglich gestalten.