Status: | Beschluss |
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Abstimmungsergebnis: | Ja: 88, Nein: 7, Enthaltungen: 5, Ungültig: 0 |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 17.04.2021 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Corona - Perspektiven brauchen Konsequenz
Beschlusstext
Seit über einem Jahr zwingt uns das Corona-Virus in einen neuen Alltag. Wir haben das Ziel eines "normalen" gesellschaftlichen Lebens fest vor Augen und wehren uns dabei sowohl gegen Ignoranz als auch Alarmismus. Nüchtern betrachtet ist die Situation heute eine ganz andere als noch vor wenigen Monaten. Die neu aufgetretenen Mutationen sind ansteckender, gefährlicher und möglicherweise tödlicher als das Ursprungsvirus, sie verbreiten sich schneller. Laut RKI sind aktuell ca. 88% der Infektionen in Deutschland auf die erstmalig in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7. zurückzuführen. Das ist besorgniserregend und zwingt uns dazu, unsere Reaktionen auf die Pandemie anzupassen. Wir können nur dann Perspektiven aufzeigen, wenn wir konsequent handeln.
Keine Angst vor klaren, starken Schritten
- Wir brauchen jetzt einen harten und ausreichend langen Lockdown - mit dem Ziel, Kontakte und Mobilität zu reduzieren, das Infektionsgeschehen deutlich abzuflachen, um anschließend wieder Perspektiven schaffen zu können. Die Zeit des Runterfahrens soll auch dafür genutzt werden, um bundesweit Impfkampagnen voranzutreiben und mehr Impfstoff zu beschaffen. Für uns steht der Schutz von Gesundheit und Leben an erster Stelle. Dieser Schutz kann nur erreicht werden, wenn es gelingt die Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern.
- Wir möchten alle möglichst schnell wieder in unseren gewohnten Alltag zurückkehren und den Menschen Perspektiven geben. Trotzdem darf dieser Wunsch nicht über dem Schutz von Gesundheit und Leben stehen. Daher ist dies der falsche Zeitpunkt für Öffnungsdebatten. Das schließt Modellprojekte ein. Diese sind grundsätzlich gut und können zu mehr Wissen über das Virus beitragen. Daher befürworten wir sie grundsätzlich, allerdings nur, wenn es das Infektionsgeschehen auch zulässt.Wenn perspektivisch Modellprojekte stattfinden, ist es wichtig Modellprojekte auch über Ländergrenzen hinweg zu koordinieren, um einen möglichst großen wissenschaftlichen Nutzen zu erreichen als Vorlage für zukünftige Planungen.
- Kinder und Jugendliche sind von den langanhaltenden Corona-Maßnahmen besonders schwer betroffen. Daher ist es gut und richtig, dass Schulen und Kitas so lange wie möglich offen gehalten werden, auch aus sozialpolitischen Gründen. Dafür braucht es eine Testpflicht für Schüler*innen, Kitakinder, Lehrer*innen und Erzieher*innen. Das aktuelle Infektionsgeschehen zwingt uns aber, auch in den Kitas und Schulen restriktivere Maßnahmen zu ergreifen, denn Kinder sind durch die neuen Mutationen sehr viel stärker betroffen. Deswegen muss ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen in den Kitas und Schulen Wechselunterricht stattfinden. Die Präsenzpflicht in Schulen muss dann ausgesetzt werden. Schulen müssen vorübergehend gänzlich in den Distanzunterricht gehen, wenn es epidemologisch geboten ist.
- Menschen allen Alters und Geschlechts müssen erst recht in Krisenzeiten die Möglichkeit haben, Schutz vor Gewalt, sexualisierten Übergriffen und ungewollten Abhängigkeitsverhältnissen zu finden. Unterstützungsstrukturen, z.B. in Form von Frauenhäusern und Unterkünften für obdachlose Menschen, müssen gerade während Krisenzeiten funktionieren. Auch die essentiell wichtige Arbeit der Migrationssozialarbeiter*innen in Übergangswohnheimen von Geflüchteten muss aufrecht erhalten bleiben.
Testen, impfen und helfen
- Ein wichtiger Baustein zur Eindämmung der Pandemie ist konsequentes Testen. Dafür müssen die Testmöglichkeiten stetig ausgeweitet werden. Es ist richtig, dass die Landesregierung eine Testpflicht für Schulen beschlossen hat. Diese muss auch auf Kitas und Unternehmen ausgeweitet werden, mit mindestens zwei Tests pro Woche. Die Kosten für die Tests dürfen dabei nicht bei den Beschäftigten und den Eltern liegen. Außerdem muss es grundsätzlich eine Verpflichtung zum Home-Office geben, sofern dem nicht arbeitsschutzrechtliche Regelungen entgegen stehen.
- Die Corona-Pandemie ist auch eine soziale Krise, die Menschen mit geringem Einkommen besonders schwer belastet. Das ist ungerecht. Die Bundesregierung muss daher ihrer Verantwortung gegenüber Menschen mit wenig Geld gerecht werden. Wir fordern einen monatlichen Krisenaufschlag für Menschen, die ALG II oder Grundsicherung erhalten von 100€ pro Erwachsenem und 60€ pro Kind, für die Dauer der Pandemie. Alle Menschen müssen sich unabhängig von ihrer Arbeitsstelle regelmäßige Tests leisten können.
- Entscheidend für die Eindämmung der Pandemie ist das Impfen. Es ist gut, dass das Impfen jetzt zunehmend an Fahrt aufnimmt und nach und nach mehr Impfdosen zur Verfügung stehen. Damit diese auch schnell verimpft werden können, ist es wichtig, dass wir jetzt zunehmend in die Breite gehen und das Impfen immer stärker auch auf die Regelsysteme der niedergelassenen Ärzt*innen (Hausärzt*innen) ausweiten, zusätzlich zu den Impfzentren. Auch Betriebsärzt*innen sollen impfen können, sobald genug Impfdosen vorhanden sind. Dazu müssen jetzt schon die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie auch von der Gesundheitsminister*innenkonferenz beschlossen, um sie schnell einsetzen zu können.
Grundsätze für einen klugen Kurs nach vorn in Zeiten von Unsicherheit
Die Corona-Pandemie ist mit zunehmender Dauer nicht nur eine Sozial- und Gesundheitskrise, sondern mit Angriffen auf unsere Demokratie auch eine gesellschaftliche Krise. Viele Menschen sind verunsichert und es fehlt eine Perspektive. Durch die Ausbreitung der Mutationen ändert sich die Sachlage außerdem rasend schnell. Die wissenschaftliche Forschung kommt immer wieder zu neuen Erkenntnissen und nicht zu jeder Frage liegen belastbare Studien vor. Trotzdem müssen politische Entscheidungsträger*innen schnelle und belastbare Entscheidungen treffen. Dabei gelten für uns folgende Leitlinien
- Das Virus zwingt uns zu weitreichenden Grundrechtseinschränkungen. Diese sind notwendig, um den Gesundheitsschutz Aller zu gewährleisten. Klar ist aber: Diese Einschränkungen müssen immer verhältnismäßig sein. Sobald Einschränkungen nicht mehr zur Eindämmung der Pandemie beitragen, müssen sie zurückgenommen werden. Dies gilt insbesondere für geimpfte Personen, die nach und nach ihre Grundrechte zurückerhalten müssen. Mittlerweile ist bekannt, dass eine vollständig geimpfte Person 14 Tage nach der letzten Impfung ein geringeres Übertragungsrisiko hat als eine negativ getestete Person. Vor diesem Hintergrund ist z.B. eine Quarantäneplicht und Testpflicht für vollständig geimpfte Personen nicht sinnvoll und sollte entfallen. Gleiches gilt für Personen, die durch einen Antikörpertest eine aktuell überstandene Krankheit in den letzten sechs Monaten nachweisen können. Maskenpflicht und Abstandsregeln müssen trotzdem weiterhin für alle gelten, denn auch ein Test oder eine Impfung bieten
keinen 100%-igen Schutz vor Ansteckung oder Übertragung von COVID-19. Es ist gut, dass in den Brandenburger Pflegeheimen ein erster Schritt bereits gegangen wurde und unter Einhaltung der Hygieneregeln mehr Besuch erlaubt ist, wenn über 75% der Bewohner*innen geimpft sind. Die Bewohner*innen, die mehr als ein Jahr isoliert in ihren Zimmern leben mussten, müssen jetzt endlich wieder in der Heimgemeinschaft zusammenkommen können und durch kulturelle, künstlerische und therapeutische Angebote gefördert werden.
- Bürger*innenrechte und unser Rechtsstaat dürfen gerade in Zeiten der Krise nicht in Frage gestellt werden. Es ist gut, dass alle Bürger*innen die Möglichkeit haben, vor den Gerichten gegen Maßnahmen zu klagen. Dass immer wieder auch politische Entscheidungen durch die Gerichte gekippt wurden, zeigt: Unser Rechtsstaat funktioniert auch in Zeiten der Pandemie. Es ist längst überfällig, das das Infektionsschutzgesetz überarbeitet wird und bundesgesetzliche Maßnahmen ermöglicht werden - wichtig ist, dass das nur für die Zeiten der Pandemie gilt und die föderale Einbeziehung gewährleistet wird.
- Die Umsetzung vieler Beschlüsse erfolgt in den Kommunen vor Ort. Was wir dabei jedoch nicht brauchen, sind Alleingänge, parteipolitische Spielchen und Selbstprofilierung. Stattdessen muss auch die kommunale Ebene stärker an einem Strang ziehen. Getroffene Absprachen müssen landesweit eingehalten werden. Nur gemeinsam können wir die Pandemie überwinden!
- Die Einhaltung der Maßnahmen hängt maßgeblich von den Bürger*innen ab. Aufgabe der Politik ist es, einen möglichst klaren, verständlichen und verlässlichen Rahmen zu schaffen. Die Eindämmung der Pandemie hängt aber auch vom Verhalten jeder*s Einzelnen ab. Verantwortungsübernahme für die eigene Gesundheit und die des Umfeldes, sowie Solidarität mit den Beschäftigten in den Krankenhäusern ist das Gebot der Stunde.
- Die Möglichkeiten, Missachtungen der Corona-Regeln zu sanktionieren, sind durch unseren Rechtsstaat begrenzt und das ist gut so. Überwachungsstaatliche Maßnahmen zur Kontrolle der Corona Pandemie, wie z.B. in China, lehnen wir entschieden ab. Die Nichteinhaltung von Corona-Regeln muss zwar sanktioniert werden, die Kontrolle darüber muss aber auf Stichproben u.ä. beruhen. Regelverstöße müssen dann auf Grundlage unseres Rechtssystems mit härteren Strafen als bisher (wie z.B. höheren Bußgeldern) belegt werden.
- Apps, die zur besseren Kontaktnachverfolgung eingesetzt werden, müssen strengen Datenschutzanforderungen unterliegen. Die Corona Warn App der Bundesregierung war dabei ein guter Ansatz. Leider hat es die Bundesregierung versäumt, die App weiterzuentwickeln, sodass das Land kurzfristig selbst handeln musste und die Luca App beschafft hat, die allerdings Lücken im Bereich Datenschutz aufweist. Die Bundesregierung muss die Corona Warn App schnell weiterentwickeln, um beispielsweise das anonymisierte „Einchecken in Restaurants“ anhand von QR-Codes zu ermöglichen. Sobald dies erfolgt ist, sollte die Landesregierung die datenschutzkonforme Corona Warn App wieder zum Standard machen.
- Alle Maßnahmen müssen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Seit Jahren fordern wir, bei der Klimakrise stärker auf die Wissenschaft zu hören. Gleiches gilt jetzt auch für die Eindämmung der Corona-Pandemie. Vor dem Hintergrund des aufziehenden Bundestagswahlkampfes ist für uns klar: Die Pandemie darf nicht für Wahlkampfspielchen und Parteiprofilierung genutzt werden. Stattdessen müssen die Empfehlungen der Wissenschaft nach strengeren Maßnahmen unabhängig von der politischen Farbe umgesetzt werden.
Die psychosozialen Folgen der Pandemie stärker in den Blick nehmen – Hilfestrategien fördernIn der Bekämpfung der Corona-Pandemie standen bisher die Inzidenzen, die Kapazität der Intensivbetten, die Todeszahlen und stehen jetzt vermehrt die Impf- und die Teststrategie im Vordergrund.Zunehmend werden aber auch die psychosozialen Folgen der Pandemie sichtbarer. Kinder, vor allem in belasteten Familien, reagieren mit Ängsten, Verhaltensproblemen und psychischen Problemen. Die Gewalt in den Familien nimmt zu. Auch Erwachsene, die von Aussichtslosigkeit, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen sind, resignieren zunehmend. Besonders betroffen sind Menschen, die es ohnehin mit psychischen und gesundheitlichen Vorbelastungen zu tun haben.Es braucht daher Begleitung für die gesamte Gesellschaft, die auch Hoffnung gibt und Perspektiven aufzeigt. Es braucht geeignete Hilfestrategien für von psychosozialen Nöten Betroffene und eine insgesamt besseren Abstimmung in den Hilfesystemen.